1. Pathologisches Museum

Seit über 100 Jahren gibt es an der Charité ein Museum. Es hieß zunächst „Pathologisches Museum“. Sein Gründer, der weltberühmte Pathologe Rudolf Virchow, eröffnete es im Jahre 1899 und bestückte es bis Ende 1901 mit 23.066 Präparaten. In großen gläsernen Schauvitrinen auf fünf Etagen waren beinahe alle damals bekannten Erkrankungsformen zu sehen. Serien verschiedener Krankheitsbilder verdeutlichten unterschiedliche Ausprägungen bestimmter Leiden. Krankheitsverläufe traten deutlich vor Augen. Erkrankungen wie die Tuberkulose wiederum ließen sich an diversen Organen nachvollziehen. Ein beeindruckendes dreidimensionales Lehrbuch der Pathologie war entstanden.

Für sein Museum hatte Rudolf Virchow lange Zeit gekämpft. Als er 1856 an die Charité berufen wurde, umfasste die Sammlung etwa 1.500 Präparate, die seine Vorgänger zusammengetragen hatten. Durch Übernahme anderer Präparatebestände, vor allem aber durch die ausgedehnte Sektions- und Präparationstätigkeit an seinem eigenen Institut, schuf er eine Sammlung, die keinen Vergleich zu scheuen brauchte. Virchows Motto lautete: „Kein Tag ohne Präparat.“ Rasch zeigte sich, dass das 1856 eigens für ihn errichtete Institutsgebäude die wachsende Sammlung auf absehbare Zeit nicht mehr aufnehmen konnte. Statische Probleme kamen hinzu. Im Jahre 1896 begann schließlich die groß angelegte Umbauphase der Charité mit dem Neubau der Pathologie. Den Anfang machte das Museumsgebäude mit insgesamt 2000 Quadratmetern Ausstellungsfläche.

Virchow wollte sein Museum in dreifacher Hinsicht nutzen. In den drei oberen Stockwerken plante er eine Lehr- und Studiensammlung; hier sollten Studenten und Kollegen die Präparate im Eigenstudium betrachten können. In den unteren beiden Etagen, der so genannten Schausammlung, hatte die interessierte Öffentlichkeit Zutritt. Im Hörsaal erläuterte Virchow seinen Studenten Präparate aus allen Museumsebenen, um seine Hörer, wie er sagte, medizinisch sehen zu lehren.

2. Virchows Präparate

Rudolf Virchow maß seiner Sammlung pathologisch-anatomischer Präparate die höchste Bedeutung bei. Er nannte sie sein „liebstes Kind“. Die Fülle der hierin versammelten Krankheitsbilder dokumentierte für ihn den erreichten Wissensstand auf seinem Fachgebiet, der Pathologie, und verwies damit in eindrucksvoller Weise auf sein eigenes Lebenswerk.

Die Präparate boten ihm „wirkliche Bilder“, mit denen er sein Wissen durch eine „unmittelbare Anschauung“ anderen vermitteln konnte. An seinen Präparaten unterrichtete er zum einen seine Studenten, zum anderen machte er große Teile seiner Sammlung der Öffentlichkeit zugänglich.

Das Präparat ist das Urobjekt allen medizinischen Sammelns. Seit Mitte des 16. Jahrhunderts wurden vor allem an den anatomischen Forschungs- und Lehreinrichtungen der Universitäten, den anatomischen Theatern, Präparate gefertigt und aufbewahrt. Sie verdeutlichten zunächst vor allem die Strukturen des normalen Körperbaus.

Zu Beginn des 19. Jahrhunderts wandelte sich die Perspektive. Medizinische Forscher interessierten sich zunehmend für den kranken Körper. Vor allem an etlichen neu gegründeten englischen Medizinschulen entstanden kleinere Präparatesammlungen, die zumeist das wissenschaftliche Arbeitsgebiet eines Pathologen dokumentierten. Rudolf Virchow ließ sich vom britischen Vorbild für den Aufbau einer eigenen, allerdings umfassenderen Sammlung inspirieren.

Mit seiner öffentlich zugänglichen Schausammlung wollte Virchow das Wissen um Gesundheit und Krankheit in der Bevölkerung mehren. Er zeigte in dieser Abteilung des Museums Präparate mit besonders eindrucksvollen Krankheitszeichen und präsentierte seltene Krankheitsformen – so etwa die Fehlbildungen – in größeren Reihen. An manchen Stellen fügte er in seine Vitrinen auch ergänzende Nachbildungen aus Gips oder Wachs ein und erläuterte bestimmte Sachverhalte durch beigestellte Texttafeln.

Biographie von Rudolf Virchow


3. Das Pathologische Museum im 20. Jahrhundert

In seinem öffentlichen Teil war das Pathologische Museum über Virchows Tod 1902 hinaus bis 1914 für interessierte Lai*innen zugänglich. Der Erste Weltkrieg und die wirtschaftlich schwierige Nachkriegszeit setzten hier ein Ende. Fortan fungierte das Museum für mehrere Jahrzehnte ausschließlich als Lehr- und Studiensammlung für den medizinischen Unterricht. Alle Nachfolger Virchows fühlten sich jedoch dem Sammlungsauftrag des Instituts für Pathologie verpflichtet. Schließlich standen zu Beginn der Zweiten Weltkriegs rund 35.000 Präparate im Museum ein.

Die Kriegsereignisse trafen Menschen und Einrichtung hart. Lediglich etwa 1.800 Präparate überstanden das Inferno relativ unbeschädigt. Nach Kriegsende war eine Nutzung des Gebäudes als Museum für längere Zeit nicht mehr möglich. Die verantwortlichen Charité-Patholog*innen setzten jedoch alles daran, die Präparatesammlung wieder aufzubauen.

Mit dem Fall der Mauer nahmen die Vorstellungen, an gleicher Stelle wieder ein Museum einzurichten, konkrete Formen an. Allerdings entschieden sich die Verantwortlichen der Charité dazu, nicht mehr ein reines Pathologisches Museum im Zuschnitt Virchows anzustreben. Schließlich gelang es 1998, ein viel weiter gefasstes „Berliner Medizinhistorisches Museum der Charité“ zu eröffnen.

4. Präparate heute

Heute zeigt das Museum in seinem großen Präparatesaal rund 750 zumeist pathologisch-anatomische Feucht- und Trockenpräparate. Die acht vollverglasten Schauvitrinen stammen noch aus Virchows Zeit.

Jede Vitrinenfront ist einem größeren Organ, etwa dem Gehirn oder dem Herzen, oder einer funktionell zusammenhängenden anatomischen Region, so zum Beispiel dem Atmungs- oder Verdauungstrakt, gewidmet. Zunächst wird den Betrachter*innen die normal entwickelte, gesunde Körperstruktur vorgestellt. Dann fällt ihr Blick auf eine Auswahl eindrücklicher Krankheitsbefunde in Organpräparaten der jeweiligen anatomischen Region. Schließlich wird am Vitrinenende jeweils ein besonderes Krankheitsbild – für das Herz etwa der Herzinfarkt, für die Leber die Leberzirrhose – aufgerufen.

In zwei einleitenden Vitrinen vermitteln eindrückliche Instrumente und Präparate grundsätzliche Kenntnisse zur Sektion und Technik der Präparation. Eine eigene Informationstafel weist unter der Überschrift „Zum Gedenken“ auf die ethische Dimension des Sammelns und öffentlichen Präsentierens von menschlichen Präparaten hin.